Ausgangslage und Notwendigkeit des Modellprojekts
Die stetig steigende Zahl von älteren Menschen mit einer
Demenz stellt das Gesundheitssystem, insbesondere vor dem
Hintergrund des intensiven ökonomischen Anpassungsdrucks, vor wachsende
Herausforderungen. Bereits heute leiden mehr als eine Million
Bundesbürger unter Demenz. Aufgrund der steigenden
Lebenserwartung wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2030 nahezu
verdoppeln. Jährlich erkranken rund 200.000 Menschen neu an Demenz. Auf
den aus dieser Entwicklung resultierenden Versorgungsbedarf ist das
Gesundheitssystem jedoch noch nicht vorbereitet.
Das gegenwärtige Gesundheitssystem ist mit einer Vielzahl von
Steuerungsproblemen behaftet, die in vielen Fällen zur Über-, Unter-
und/oder Fehlversorgung führen und erhebliche Effizienzverluste zur
Folge haben. Unstrittig besteht auch bei der Versorgung von demenziell
erkrankten Menschen ein erhebliches Optimierungspotential. Die
Erfahrungen aus dem Modellprojekt FORUM Demenz belegen gravierende
Schwachstellen zwischen der ambulanten und der stationären
medizinischen Versorgung. Folge sind vielfache Arztbesuche, nicht
aufeinander abgestimmte Medikamentengaben, Doppel- und Fehlbehandlungen
und häufige Klinikaufenthalte. Zudem erweist sich die starre Abgrenzung
der Gesetzgebungsstrukturen zwischen SGB V und SGB XI als strukturelles
Hindernis für eine übergreifende Versorgung. Während eines
Krankenhausaufenthaltes bleibt oftmals wertvolle Zeit zur Beratung,
Planung und Organisation der häuslichen Versorgung ungenutzt. Häufig
erfolgt beispielsweise eine unabgestimmte Überleitung des
Demenzpatienten aus dem Krankenhaus in die ambulante Pflege, wodurch es
zu Einbrüchen in der Versorgung kommt. Im Krankenhaus getroffene
Entscheidungen, oftmals zum Einzug in eine stationäre
Pflegeeinrichtung, können kaum mehr umgekehrt werden. Die Schnittstelle
zwischen den Kostenträgern für den Bereich Diagnostik, Rehabilitation
und Pflege (Krankenkassen, SGB V) und der Pflegeversicherung (SGB XI)
als Kostenträger für die Pflege ist problembehaftet. Eine fehlende
effektive, sektorenübergreifende Koordination erzeugt auch bei der
Versorgung von demenziell erkrankten Menschen unangemessene
Kostenentwicklungen und Qualitätsverluste.
Modelle integrierter, sektorenübergreifender Versorgung bleiben –
trotz der Initiative des Gesetzgebers durch die Novellierung des § 140
a-d SGB V – noch Farbtupfer in der Versorgungslandschaft. Von einem
sektorenübergreifenden und interdisziplinären Behandlungs- und
Versorgungskonzept – wie etwa im § 140a-d SGB V gefordert – kann
flächendeckend noch keine Rede sein.
Gleichzeitig stehen alle Leistungsbereiche des Gesundheitssystems unter
einem steigenden Effizienzsteigerungs- und Kostensenkungsdruck, der
sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Strukturelle
Veränderungen und verbesserte Versorgungssysteme sind erforderlich, die
sowohl der Herausforderung der stark ansteigenden Zahl der demenziell
erkrankten Menschen als auch dem ökonomischen Anpassungsdruck im
Gesundheitssystem gerecht werden.
Ziele und Modellschwerpunkte
Das Modellprojekt will einen Beitrag bei der Entwicklung,
Evaluation und Optimierung interdisziplinärer Versorgungskonzepte für
Menschen mit Demenz leisten. Das Projekt verfolgt folgende Ziele:
- Aufbau eines wirksamen Versorgungsnetzes für Menschen mit Demenz unter besonderer Einbeziehung von ambulanten und stationären medizinischen Leistungen
- Verbesserung der Versorgungsqualität der teilnehmenden Demenzpatienten
- Ermöglichung eines längerfristigen Verbleibs der Menschen mit Demenz in der eigenen und vertrauten Häuslichkeit
Zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit wird die Überführung der zu
schaffenden Vernetzungsstrukturen in ein integriertes Versorgungssystem
angestrebt. Das Projekt will die Frage beleuchten, welche Strukturen
und Kommunikationswege Voraussetzung für ein effektives und effizientes
regionales Versorgungsnetz für Menschen mit Demenz sind.
Zur Zielerreichung setzen die beteiligten Kooperationspartner AWOcura
gGmbH, Evgl. Christophoruswerk e.V. und PariSozial gGmbH folgende
Modellschwerpunkte:
Entwicklung eines interdisziplinären Verbundsystems von stationären und ambulanten medizinischen und pflegerischen Leistungen zur Versorgung von Menschen mit Demenz in der Region Duisburg Mitte/Süd - AWOcura gGmbH
Die AWOcura gGmbH entwickelt in der Region Duisburg Mitte/Süd ein interdisziplinäres Verbundsystem, das stationäre und ambulante medizinische und pflegerische Leistungen, die Case Manager des Projektes sowie niedrigschwellige Betreuungsangebote für Menschen mit Demenz umfasst. Durch die Entwicklung eines Versorgungs- und Behandlungspfades wird die Verbindlichkeit mit den ambulanten und stationären medizinischen Leistungen intensiviert und die betroffenen Patienten erhalten eine frühzeitigere Diagnose und die notwendigen medizinischen, pflegerischen und sozialen Leistungen. Eine frühzeitige Diagnostik ist wichtig, um alle zur Verfügung stehenden Therapieoptionen optimal einsetzen zu können und den Betroffenen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre weitere Versorgung mit zu bestimmen.
Entwicklung eines Case Managements für demenziell erkrankte Menschen unter Einbeziehung eines interdisziplinären Verbundsystems - PariSozial gGmbH
Ohne eine Koordinationsinstanz kann die Arbeit eines sektorenübergreifenden, interdisziplinären Netzwerkes nicht effizient gestaltet werden. Die Methodik des Case Managements wird hinsichtlich der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den am Verbundsystem beteiligten Kliniken, Ärzten und sozialen Dienstleistern unter besonderer Berücksichtigung der Zielgruppe von allein lebenden Menschen mit Demenz angepasst, weiterentwickelt und evaluiert.
Vernetzung von Gesundheitswesen und sozialen Versorgungssystemen
Entwicklung
einer lebensweltnahen Unterstützungsstruktur für demenziell Erkrankte
unter besonderer Berücksichtigung von alleinlebenden Menschen mit
Demenz – Evgl. Christophoruswerk e.V.
Die Erfahrungen aus dem Projekt FORUM Demenz haben gezeigt, dass es
insbesondere eine Schwachstelle in der Vernetzungsstruktur des
Gesundheitswesens mit dem Sozialwesen und dem Sozialraum gibt.
Das Quartier stellt insbesondere für demenziell und alleinlebende
erkrankte Menschen eine wesentliche Bezugsgröße dar. Die räumliche
Mobilität ist in der Regel eingeschränkt – ihr Quartier ist der
Lebensraum, in dem sie sich bewegen und der ihnen Sicherheit und Schutz
bieten muss. Damit benötigen sie neben einer guten medizinischen
Begleitung ein soziales Umfeld, welches Strukturen beinhaltet, die
einen Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglicht. Um die
Aufenthaltsqualität für demenziell erkrankte Menschen in ihrer
vertrauten Umgebung lange zu erhalten, bedarf es mehr als bisher einer
systematischen und gezielten Analyse und Entwicklung von endogenen
Umfeldpotentialen (wie z.B. Einkaufshilfen, Begleitung und Fahrdienste
also Unterstützungsangebote über die niedrigschwelligen Angebote
hinaus). Diese müssen in einem aktivierenden und strukturierten Prozess
in ein wohnortnahes Unterstützungssystem eingebettet werden.
Alle drei Projektpartner setzen in den ausgewiesenen Regionen Case
Manager ein, die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen als Lotsen
durch das Gesundheitswesen begleiten. Die in den einzelnen
Projektschwerpunkten entwickelten Ergebnisse werden projektübergreifend
in die Arbeit der Case Manager einbezogen.
Im besonderen Fokus der Methoden des Quartier- und des Case Managements werden alleinlebende Demenzkranke stehen. Die Zahl der alleinlebenden Menschen, die im Falle einer Pflegebedürftigkeit und/oder einer demenziellen Erkrankung nicht in einem Familienverband gepflegt und betreut werden, nimmt zu. Dieser eindeutige gesellschaftliche Trend hat vielfache Gründe (Rückgang der Kinderzahlen, zunehmende Berufstätigkeit der Frauen, räumliche Distanz der Familienmitglieder) und wird sich in den nächsten Jahrzehnten weiter verstärken.